Die Fußwaschungserzählung im Johannesevangelium gehört zu den „rätselhaftesten“ Texten des Neuen Testaments. Die neutestamentliche Forschung ist sich bei der Deutung dieser Erzählung uneinig. Anni Hentschel unterscheidet acht unterschiedliche Zugänge zu diesem Text im Johannesevangelium 13,1-20 und diskutiert 32 Entwürfe in ihrer Habilitationsschrift.

Die Fußwaschungserzählung Jesu neu untersucht

Die johanneische Erzählung in Joh 13,1-20 zeigt eine große Bedeutungsoffenheit gegenüber der Fußwaschung Jesu. Erhellend ist, dass die vielen Deutungen durch die Vorannahmen einzelner Forscher und Forscherinnen gravierend geprägt werden (Hentschel 2022:72f). Welche kulturelle Bedeutung hatten Fußwaschungen in der Antike? Von wem wurden sie vollzogen? Und wie ist die Handlung Jesu mit den theologischen Grundlinien des Evangeliums zu verbinden? Welche Rolle spielt die Entstehungsgeschichte der Erzählung bei der Auslegung? All das sind Annahmen, die entscheidend die verschiedenen Interpretationstypen hervorgebracht haben. Folgende Bedeutungen sind in der Forschung diskutiert worden (siehe die Übersicht bei Thomas 1991:11-17; Hentschel 2022:73):

  • Fußwaschung und Demut
  • Fußwaschung und Abendmahl
  • Fußwaschung und Taufe
  • Fußwaschung und Sündenvergebung / Reinigung
  • Fußwaschung als eigenes Sakrament neben Taufe und Abendmahl
  • Fußwaschung und soteriologisches Zeichen
  • Fußwaschung und Polemik (gegen Taufe oder rituelle Waschungen)
  • Fußwaschung und Liebe
  • Fußwaschung und Vorbereitung (auf den Abschied Jesu)
  • Fußwaschung und Beauftragung (für die Zeit nach Jesu Abschied)
  • Fußwaschung und Gemeindegründung

Anni Hentschel ist Professorin für Neues Testament und Diakoniewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Sie ist Expertin für die Semantik des griechischen Begriffs diakonia und forscht über biblische Begründungszusammenhängen und theologische Deutungen sozialer und ethischer Fragestellungen.

In diesem Beitrag rezensiere ich ihre Habilitationsschrift. Sie wurde 2020 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main habilitiert.

Rezension

Hentschel, Anni 2022. Die Fußwaschungserzählung im Johannesevangelium: Ein Beitrag zur johanneischen Ekklesiologie. Tübingen: Mohr Siebeck. (WUNT, 493).

434 Seiten. 154,– €
ISBN 978-3-16-161219-0

Hentschel 2022 – Die Fußwaschungserzählung im Johannesevangelium

Die Monografie hat einen überzeugenden und klaren Aufbau.

Hentschel stellt zunächst die Fülle der Deutungsbeispiele seit dem 19. Jh. dar (Kap. 1). Danach gibt sie Rechenschaft über ihre eigene Vorgehensweise (Kap. 2). Es folgt die Fußwaschung in der Antike als mögliches kulturelles Setting (Kap. 3). Die Perikope der Fußwaschung (Joh 13,1-20; Kap. 5) sieht die Verfasserin umrahmt von Marias Salbung der Füße Jesu (Joh 12,1-11; Kap. 4) und der Weinstockperikope (Joh 15,1-17; Kap. 6). In Kapitel 7 werden alle Ergebnisse transparent und nachvollziehbar zusammengefasst.

1. Forschungsgeschichtliche Perspektiven

Hentschel erkennt sieben verschiedene Interpretationszugänge in der Forschung für die Fußwaschung Jesu. Dabei beeinflussen der methodische Zugang sowie die Annahmen in Bezug auf die Einleitungsfragen wesentlich die Auslegung (Hentschel 2022:3). Sie stellt exemplarisch 32 Interpretationsweisen von Forschern und Forscherinnen seit dem 19. Jh. dar. Alle sieben Zugänge werden im Einzelnen von Hentschel gewürdigt und um ihre Schwächen entlarvt. Gerade im narratologisch orientierten Zugang erkennt sie eine besondere Eignung, „Hinweise im Text wahrzunehmen, die ein verkürztes oder auch ein bereits traditionell gewordenes Textverständnis erweitern und ggf. in Frage stellen können“ (:72).

Forschungsgeschichtlich wurde insbesondere Joh 13,6-11 christologisch oder soteriologisch ausgelegt. Textkritisch und unsicher bleibt die Bedeutung von Joh 13,10. Und auch wenn Joh 13,12-20 eine Nachahmung durch die Jünger impliziert, bleibt unklar, was denn die Jünger genau nachahmen sollen. Und ist die Handlung Jesu eine Fortsetzung der Handlung der Jünger oder sind hier zwei Handlungen unterschiedlicher Qualität bzw. Intention im Blick?

Hentschel gehe es in ihrer Arbeit darum, „wie die Fußwaschungserzählung durch ihre spezifische Einbettung und Gestaltung im Johannesevangelium verstanden werden kann“, wobei sie konsequent vom Endtext ausgehen möchte (:76). Der Gang durch die Forschung bestätige diese methodische Entscheidung, weil hier „wohl gelungene Interpretationsmodelle“ vorliegen.

Warum braucht es eine weitere Monografie zur Fußwaschung Jesu?

Zum einen möchte Hentschel mittels der kulturellen Bezüge das Bedeutungsspektrum der Fußwaschung noch gründlicher als bisher beleuchten, die intertextuell relevanten synoptischen Texte einbeziehen und den bisher zahlreichen Deutungen „eine weitere hinzufügen, welche einen neuen, hoffentlich ebenso spannenden wie weiterführenden Diskussionsbeitrag zur Ekklesiologie des Johannesevangeliums darstellt“ (:1f).

2. Zur Vorgehensweise

Die Interpretation der Fußwaschung sieht Hentschel durch folgende Faktoren beeinflusst (:79, :369):

  • Die kulturelle Bedeutung von Fußwaschungen
  • Die Entstehungsgeschichte des Johannesevangeliums als Text
  • Das Verhältnis des vierten Evangeliums zu den Synoptikern
  • Die Wahl des methodischen Zugangs
  • Die Beurteilung der Theologie des Johannesevangeliums (besonders Christologie, Ekklesiologie und Ethik).

In ihrer Monografie sucht sie die Bedeutung der Fußwaschung „primär im Text des Johannesevangeliums“ (:87). Konkret interpretiert sie Joh 1–21, nimmt für Joh 13,10 den „Kurztext als wahrscheinlich ältere Textfassung“ (:88) an und fragt im zweiten Schritt nach den intertextuellen Bezügen zu den Synoptikern. Dabei gehe es aber weniger um additive Informationen, sondern um Leser, die sich der Eigenständigkeit des vierten Evangeliums bewusst sind und diese intertextuellen Bezüge konstruieren (:88f).

Methodisch greift Hentschel den von Hartwig Thyen favorisierten intertextuellen und rezeptionsästhetischen Zugang auf und führt diesen fort (:90–122). Sie folgt der Hypothese, Johannes habe die anderen Evangelien gekannt und er habe in seinem Werk intertextuelle Bezüge gesetzt (:95). Ihre Methodologie gründet sie auf dem text-theoretischen Modell von Umberto Eco (:100–106) und der narratologischen Analysemodell von Mieke Bal (:106–122). Konkret geht sie so vor, dass sie (1) die untersuchten Texte strukturiert bzw. gliedert, (2) übersetzt und textkritische Phänomene erörtert, (3) eine narratologische Analyse, (4) eine Einzelexegese und (5) eine intratextuelle und intertextuelle Lektüre durchführt (vgl. :234–336).

3. Fußwaschung in der Antike

Welche außersprachliche Wirklichkeit Joh 13 impliziert, ist entscheidend für die Interpretation der Fußwaschung Jesu. Hentschel sucht nach zentralen Bedeutungsaspekten der Fußwaschung als alltägliche kulturelle Praxis. Dabei gehe es ihr um zentrale Belege antiker Praxis, nicht ein Zusammentragen aller Belege auf quantitativer Ebene (:126).1 Bisherige Studien zu Joh 13 kranken daran, dass sie die vielfältigen Bedeutungsmöglichkeiten nur unzureichend in ihre Interpretation aufnehmen (:127).22

Hentschel arbeitet drei grundlegende Bedeutungsfelder heraus.

Fußwaschung als Körperpflege

Das Waschen der eigenen Füße war – wie heute das Zähneputzen – eine Selbstverständlichkeit. Sie diente der Reinigung und/ oder zur Vorbereitung weiterer Handlungen (z. B. dem Zu-Bett-Gehen). Daher verwundert es nicht, dass eine solche kulturelle Sitte und Banalität verhältnismäßig wenig in den Quellen thematisiert wird (:131f).

Fußwaschung als Zeichen von Ehre und Liebe in unterschiedlichen Settings menschlicher Interaktion

Das Waschen der Füße zwischen Menschen wird als Erweis von Ehre gesehen. Daher gehört es sich für Kinder im Allgemeinen, den Eltern die Füße zu waschen (im jüdischen Kontext als sichtbare Handlung des vierten Gebots; :134f). Sie kann auch von anderen Angehörigen ausgeführt werden, und dies als ‚Zeichen von Wertschätzung und Liebe“ (:138). Dabei gebe es unterschiedliche Anlässe, z. B. beim Eintreten ins Haus, als feierliche Form der Aufwartung bei Mahlzeiten usw.

Aufgrund sexueller Konnotationen wird das Waschen der Füße in der rabbinischen Literatur der Ehefrau vor der Magd vorbehalten. Es ist ihre exklusive Pflicht gegenüber ihrem Mann (:139–142). Das zeigt insbesondere der Roman Josef und Aseneth, wonach das Waschen der Füße „ein Zeichen der intimen Liebe zwischen Mann und Frau“ symbolisiert (:142–145). Auch in griechischer und römischer Literatur wird die Handlung „als intime Berührung“ gewertet, „die sowohl durch die Ehefrau als auch durch Sklavinnen erfolgen kann“ (:149). Frauen haben diese Handlung ihren Mägden gerade nicht delegiert, sondern dies als intime Nähe zu ihrem Mann vor dem Zubettgehen vollzogen.

Schüler erbringen ihrem Lehrer die Dienstleistung der Fußwaschung („den Schuh lösen“ – wohl als Waschen und Salben gemeint, bKet 96a; :150f). Es ist offensichtlich so, dass die Fußwaschung zum kulturellen Standard von Gastfreundschaft gehörte, sie aber z. B. in den Epen Homers literarisch kaum explizit hervorgehoben wird (hier kommt Hentschel zu einem deutlich vorsichtigeren Urteil, als es in der Forschung zu Homer üblich ist, :152-154). Es ist eine „selbstverständliche Geste“, wobei in den wenigen literarischen Erwähnungen auch die Subjekte der Handlung „nicht einmal eindeutig oder explizit benannt“ werden (:164f).

„Eine aufwändig oder sogar persönlich vom Gastgeber bzw. der Gastgeberin durchgeführte Fußwaschung oder Aufwartung sagt also immer etwas über die Beziehung zu den Gästen aus. (…) Die Texte legen nicht nahe, dass die Fußwaschung für den Gastgeber mit einer Erniedrigung oder einem Statusverzicht verbunden ist.“

Hentschel 2022:165

In Bezug auf Hauptbezugstext Hom.Od. 9 argumentiert Hentschel gegen den Mainstream, der hier die Fußwaschung als Sklavendienst interpretiert. Es gehe dort vielmehr um einen besonderen Ehrerweis, der mit „körperlicher Berührung, mit Intimität, Vertrauen und emotionaler Nähe“. Und es handelt sich um eine „Fußwaschung vor dem Schlafengehen und nicht um eine Fußwaschung vor einem Gastmahl“ (:160).

Fußwaschung als Zeichen der Ehre

Neben der Bedeutung der alltäglichen Handlung kann eine Fußwaschung auch als Zeichen der Ehrerbietung in gesellschaftlichen Kontexten erscheinen (:171). Auch dabei ist – wenn ein freier Mann einem anderen die Füße wäscht – nicht prinzipiell von einem Statusverlust für den Handelnden auszugehen (:171). Wird jedoch eine Fußwaschung erzwungen, geschieht aufgrund dieser kultureller Konnotationen „eine besondere Erniedrigung und Demütigung“ (:172).

Erhellend ist die Differenzierung, die Hentschel über das jüdische Sklavenverständnis herausarbeitet: „In der alttestamentlichen Rechtsprechung wird zwischen hebräischen und ausländischen Sklaven unterschieden“ (179). Demzufolge verbietet Rabbi Jischmael in der Auslegung zu Ex 21,1–3 das Waschen der Füße und einige andere (Sklaven-)Tätigkeiten beim öffentlichen Besuch des Badhauses (MekhJ; :182). Während ein Sohn oder ein Schüler ausdrücklich dies ausführen darf, darf es ein hebräischer Sklave nicht. Offensichtlich werden damit das öffentliche Machtgefälle bzw. eine mögliche sexuelle Verfügbarkeit des Sklaven gegenüber seinem Herrn eingeschränkt (:183).

Was hat Hentschel mit dieser Durchsicht ausgewählter Quellen gewonnen? Die Autorin beobachtet, dass die Fußwaschung alltäglich war, von Sklaven und Sklavinnen verrichtet wurde, aber nicht per sé mit einem Sklavendienst konnotiert ist. Im Kontext der Gastfreundschaft gehört es zum guten Ton, dass der Gastgeber dafür sorgt. An ein Vollbad konnten sich Teilwaschungen anschließen. Die Fußwaschung kann freiwillig von freien Personen durchgeführt werden (Abraham). Im vertrauten familiären Bereich ist sie ein Liebes- und Ehrerweis, bis hin zu erotischen Konnotationen in intimen Beziehungen. Nur beim Erzwingen einer Fußwaschung ist diese Handlung mit einer Erniedrigung des ausführenden Subjekts belegt (:195–197).

Im Text des Johannesevangeliums wirken Joh 13,1-3 und Joh 17,21-26 als eine Inklusion um die Abschiedsszene (:199). Eine Analyse der Fußwaschungsszene allein wäre unzureichend, da diese mit anderen Texten (Joh 13,31-38; 15,20 u.a.) verwoben ist. Weil die Salbung der Füße Jesu durch Maria (Joh 12,1-8) wie eine „Vorausdarstellung der Fußwaschung“ wirkt und im Sinne eines „primary effects beinflusst“, wird Joh 12,1-8 zuerst analysiert. Der Text aus Joh 15,1-17 wirkt auf die Szene zurück und wird daher ebenfalls analysiert (:199f).

4. Marias Salbung der Füße Jesu (Joh 12,1-11)

Dass Jesus ein inniges Verhältnis zu Maria, Martha und Lazarus hat, ist bereits aus Joh 11 überaus deutlich. Nun ist er wohl in deren Haus (dies lässt der Text offen, :204), Jesu Füße sind bereits gereinigt worden, bevor er sich zu Tisch gelegt hat (Joh 12,2; :205). Die Szene wirkt wie ein feierliches Gastmahl „im vertrauten Familien- und Freundeskreis, doch nicht alle Anwesenden zeichnen sich durch ihre Treue aus“ (:206). Die Aufwartung und Zubereitung des Mahls durch die Gastgeber zeugt von besonderer Höflichkeit und Ehre, die man dem Gast erweist. Keineswegs ist in Joh 12,2 die Rolle einer Sklavin noch ein Statusverlust impliziert (:207).

Das Überraschende ist, dass Maria die Füße Jesu mit ihrem eigenen Haar abtrocknet. „…sie teilt mit Jesus sowohl das wertvolle Öl als auch den Duft“ (:208f). Ob dies für den „Duft des Lebens“ und die in Joh 13,8 geforderte Teilhabe mit Jesus, die Maria vorwegnimmt (:209), überzeugt m. E. nicht. Entscheidend ist, dass die Salbung zwei verschiedene Perspektiven darstellt und bewertet: Judas vertritt einen unglaubwürdigen Sprecher. Hinzu kommt Jesu Bewertung der Szene, die „eine besonders leserlenkende Bedeutung hat. Es fehlt die Perspektive Marias“ (:210). Joh 12,1-8 gibt keinen Einblick in die Motive Marias für ihr Tun und lässt damit eine Leerstelle (:211).

Überzeugend ist, wenn Maria und Judas in Joh 12,1–8 von Hentschel als „Charaktanten“ wirken, „so dass die Treue der Jüngerin Maria, die keine Kosten scheut, gegenüber der Untreue und Gewinnorientierung des Judas besonders deutlich wird“.

Hentschel 2022:214

In Bezug auf die christologische Perspektive erkennt Maria demnach die Zeiten der Zeit und salbt ihn für den bevorstehenden Tod, der „gerade keinen Verwesungs- und Todesgeruch (Joh 11,39) verbreitet, sondern einen Duft des neuen Lebens. Die Jesus erwiesene Liebe und Verehrung ist in dieser Stunde angesichts der bevorstehenden Erhöhung Jesu wichtiger als alles andere, auch wichtiger als die Nächstenliebe im Sinner der Fürsorge für Arme (12,71f.)“ (:227). Bezieht man die intertextuelle Lektüre (also Anklänge an andere Texte der Synoptiker) könnte man der Ausbreitung des Duftes in Verbindung mit der Verkündigung des Evangeliums (Mk 14,3-9; Mt 26,6-13) sehen (:227).

5. Die Fußwaschung Jesu (Joh 13,1-20)

Mit etwa 105 Seiten bietet die Analyse von Joh 13,1-20 den Schwerpunkt der Untersuchung. Für das Verständnis der Fußwaschung Jesu formuliert Hentschel folgenden Thesen:

  • Es ist nach Hentschel nicht überzeugend, die Aussendung und Beauftragung der Jünger mit dem derzeitigen Forschungskonsens zum Johannesevangelium erst in Joh 20,21-23 zu sehen. Vielmehr werden die Jünger in Joh 13–17 bereits als „erwählte und beauftragte Jünger angesprochen und explizit in die Sendung Jesu (vor allem 13,16.20; 15,20.27; 16,2; 17,14.18) und damit zugleich in die Liebesgemeinschaft zwischen Gott und Jesus einbezogen (14,21.23; 16,27; 17,20-23), in denen die Liebe Gottes und die Liebe Jesu wohnen“ (:257).
  • Die Fußwaschung Jesu ist eine Zeichenhandlung Jesu für seine Schüler, die die Liebe Gottes und das Heil Gottes (Joh 3,16; 13,1.3; 17,22-26) körperlich erfahrbar macht (:337).
  • Die Fußwaschung Jesu ist ein Zeichen „der freundschaftlich-familiären Gemeinschaft von Schülern mit ihrem Lehrer“, da sie während des Mahls und nicht davor (zur Reinigung) geschieht (:337). Damit ist sie nicht – entgegen der weit verbreiteten Forschungsmeinung – mit einem Sklavendienst konnotiert (:278).
  • Irritierend an dieser Szene ist allein, „dass Jesus als Lehrer den Schülern die Füße wäscht und so die üblichen Rollenerwartungen verlässt (vgl. Joh 13,1.14f.)“ (:279). Auf der Beziehungsebene erweist Jesus seine Liebe gegenüber seinen Schülern. Für den Schüler selbst war ein solcher Akt auch mit Würde verbunden (:279). Und Jesu Handlung führt zu einer Art Statuserhöhung, da sie von Jesus wie Lehrer behandelt werden (:280).
  • Die Fußwaschung Jesu betont die „Teilhabe an Jesus (13,8) und wird als zeichenhafte Handlung Jesu (…) auf die gegenwärtige und zukünftige Situation seiner anwesenden Schüler interpretiert“. Sie erhalten damit zeichenhaft Anteil an seiner Rolle (15,20), auch wenn er dauerhaft ihr Lehrer und Herr bleibt (13,12.16) (:280).
  • „Das letzte Mahl ist ein Abschiedsmahl in einer von Liebe geprägten vertrauten Gemeinschaft“, mit gewissen Assoziationen an Joh 12,1–8 (:280). Wichtig scheint zu sein, dass es sich um einen „vertraut-freundschaftlichen Kreis“ mit einer unbestimmten Anzahl von Jüngern (eine Begrenzung auf die Zwölf gibt der Text nicht vor) (:280f).
  • Neben der Erfahrung des Heils der Liebe Gottes haben die Jünger Anteil an der Sendung Jesu. „Er beauftragt sie, in seinem Vorbild zu handeln“ (:338). Durch die Konstitution einer Liebesgemeinschaft und durch ihre Beauftragung wird die bleibende Präsenz Gottes bzw. Jesu gewährleistet. Im Unterschied zu den Synoptikern ist die johanneische Aussendung insgesamt an die Nachfolgegemeinschaft gerichtet (nicht Petrus, einzelne Jüngerpaare, Zwölferkreis usw.) und erhält damit einen „demokratischen Grundzug“ (:338f).
  • Die Fußwaschung Jesu greift also zwei antike Konnotationen auf: Sie ist ein „freundschaftlich-intimer Liebeserweis“ und sie ist ein „Ehrerweis“ in vertrauten Beziehungen (:340).

6. Beauftragt zu lieben (Joh 15,1-17)

Zwischen Joh 13 und Joh 15 sind viele inhaltliche Parallelen beobachtet worden (:341f). In Joh 15,1–17 wird die Erwählung und Beauftragung der Jünger thematisiert. Jesu Jünger erweisen sich als solche, „wenn sie den Auftrag Jesu ausführen und sich gegenseitig lieben“ (:366). Dieses zentrale Liebesgebot in Joh 15 hat seinen Bezugspunkt in Joh 13, wo Jesus in der Fußwaschung seine Liebe und ihre Sendung zeichenhaft demonstriert hat (:366).

Die Seinen sind als Nachfolgegemeinschaft Gesandte Jesu (Joh 13,16.20; 15,14.20.27), denen eines gemeinsam ist: die enge, von Liebe und Freundschaft geprägte Gemeinschaft und Verbundenheit mit Jesus.

Hentschel 2022:366

7. Ergebnisse

Die bisherige johanneische Forschung ist von zwei grundlegenden Annahmen geprägt.

  1. Die Fußwaschung Jesu wird als Dienst oder Sklavendienst mit dem Ziel der Reinigung interpretiert (:369f).
  2. Es werden für Joh 13,6–11 und Joh 13,12–20 zwei unterschiedliche Deutungen angenommen, die irgendwie zueinander in Beziehung stehen. Joh 13,6–11 wird dabei häufig soteriologisch und als „Vorabbildung des Kreuzestodes“ interpretiert. Joh 13,12–20 habe eine ethisch-ekklesiologische Richtung, betone in irgendeiner Form die Nachahmung, aber die Zuordnung zu Joh 13,6–11 bleibt schwierig (vgl. :370).

Diesen Forschungskonsens stellt Hentschel in Frage.

Zum einen kann es sich nicht um einen Akt der Gastfreundschaft zum Zweck der Reinigung handeln, da Jesus und die Seinen sich kaum mit schmutzigen Füßen zu Tisch gelegt hätten (:375). Es handelt sich vielmehr um eine Lehrer-Schüler-Zusammenkunft. Das Überraschende ist, dass der Lehrer die mit Ehre verbundene Handlung an seinen Schülern vollzieht (:375). Eine ähnliche vorbildhafte und von Liebe geprägte Handlung hatte „Maria als geliebte Schülerin Jesu“ vollzogen (:375f).

Zum anderen ist die Fußwaschung Jesu eine zeichenhafte Handlung im vertraut-freundschaftlichen Kontext. Jesus konstituiert damit eine Liebesgemeinschaft, die die Liebe des Vaters, des Sohnes und der Seinen real erfahrbar macht. Andererseits wird darin auch Gottes Liebe zur Welt real dargestellt und missionstheologisch entfaltet. „Denn indem Jesus die Jüngerinnen und Jünger an seiner Liebe sowie der Liebe Gottes teilhaben lässt, werden sie zugleich hineingenommen in die Sendung Jesu“ (:376).

Im Abschnitt Joh 13,6–11 wird primär die Teilhabe an Jesus (13,8) betont, nicht eine Reinigung im wörtlichen noch übertragenen Sinn (:378f). Daher ist Joh 13,6–11 nicht mit dem Kreuzestod Jesu in Verbindung zu bringen, denn die Liebe Jesu drückt sich in seiner gesamten Sendung aus. „Die Fußwaschung Jesu ist Ausdruck der Sendung Jesu, sie illustriert, was Jesus den Seinen vermittelt: seine eigene Liebe und darin die Liebe Gottes“ (:378).

Damit kann sich Joh 13,12–20 ohne Spannung dem Vorhergehenden anschließen: Jesus hat die Liebesgemeinschaft konstituiert. „Die Seinen sollen von nun an wie Jesus Füße waschen, das heißt im übertragenen Sinn sich gegenseitig Liebe erweisen“ (:379). Sie sind damit Gesandte des Vaters und des Sohnes in und für die Welt (:379f). Sie sollen sich als Nachfolgegemeinschaft vor der Welt erweisen (Joh 13,34f; :380). Auch nachösterlich bleiben die Jüngerinnen und Jünger Jesu verschiedenen Missverständnissen und Zweifeln ausgesetzt, so dass auch für alle nachösterlichen Gläubigen die Angewiesenheit auf den Beistand Jesu und des Parakleten relevant bleibt (:380f).

Die intertextuelle Lektüre hat „eine erkennbare Nähe zur lukanischen Darstellung“ gezeigt (vgl. :381–384).

Fazit: Die johanneische Fußwaschung Jesu hat eine christologische, soteriologische, ekklesiologische und ethische Dimension (:385).

  • Christologisch: Jesus selbst konstituiert diese Gemeinschaft.
  • Soteriologisch: Die Teilhabe an Jesus (Joh 13,8) vermittelt das Heil der Liebe Gottes, wobei die gesamte Sendung Jesu heilswirkend ist.
  • Ekklesiologisch: Nach Jesu Abschied werden die Jünger zu Gesandten, die die Liebe Jesu und die Liebe Gottes in der Welt präsent halten sollen (:385). Gewollt ist – missionstheologisch – eine „Vergrößerung der Glaubensgemeinschaft (13,34f.; vgl. Joh 4,31–38; 12,20–26; 17,20–26)“ (:386).
  • Ethisch: Die Jünger sollen in der grundlegenden Ausrichtung ihres Lebens sich am Vorbild Jesu orientieren (:385). Dabei ist ihr Heil bereits vorausgesetzt (Joh 15,6f). Und auch wenn sich die Liebe zunächst auf die Glaubensgeschwister richtet, ist hier das Ziel, „dass auf diese Weise die Liebe Jesu und darin die Liebe Gottes auch nach Jesu Abschied in der Welt präsent und erkennbar bleibt (13,34f.; 17,21–23)“ (gegen eine Konventikelethik; :386).

In der gegenseitigen Liebe erweisen sich die Jüngerinnen und Jünger als das, was sie sind: Freundinnen und Freunde Jesu (15,12.17) und dafür können sie auf Jesu Beistand vertrauen (15,5).

Hentschel 2022:386

Würdigung

Die Monographie von Hentschel ist eine gründliche und fundierte Untersuchung der Fußwaschung Jesu (Joh 13,1-20). Die Autorin überzeugt insbesondere durch eine methodisch reflektierte und umsichtige Herangehensweise. Auch forschungs- und methodengeschichtlich ist die Arbeit interessant zu lesen, weil sie an einer der „rätselhaftesten Erzählungen im Neuen Testament“ ganz unaufgeregt zeigen kann, wie gravierend gewisse Vorannahmen der Forschung die Auslegungsergebnisse dominiert haben (:369).

Inhaltlich überzeugt die Habilitationsschrift über die Fußwaschung Jesu, weil die Autorin umfassend den kulturellen Hintergrund analysiert und eine überzeugende Deutung vorschlägt. Und indem sie Joh 13,1–20 intratextuell (am vorliegenden Text des Evangeliums) interpretiert und hierbei vielfältige narratologische Bezüge untersucht (z. B. Joh 12,1–11; 15,1–17), kann sie einen überzeugende Deutung der gesamten Szene in die Forschungsdiskussion einbringen. Dabei löst sie sich von vergangenen Engführungen johanneischer Forschung (z. B. Konventikelethik) und kann vielmehr anhand der Fußwaschung Jesu christologische, soteriologische, ekklesiologische (missionstheologische) und ethische Perspektiven aufzeigen.

Die intertextuelle Lektüre (Einbezug der Synoptiker) hat interessante und besondere Perspektiven des johanneischen Textes eröffnet. Hervorzuheben ist hier die methodisch umsichtige und stets respektvolle Arbeit an den Texten, so dass die Autorin völlig recht hat, wenn sie dazu ermutigt, ein solches Interpretieren „in weiteren Studien aufzugreifen, zu überprüfen und zu vertiefen“ (:372).

Weil Hentschel in ihrer Arbeit gerade die ekklesiologische und ethische Dimension der Fußwaschung herausarbeitet und diese mit der christologischen und soteriologischen Dimension in eine kohärente Relation bringt, drängt sich mir eine ekklesiologisch-missionstheologische Frage auf:

Wenn Jesus mit seiner Fußwaschung eine „zeichenhafte Handlung“ vollführt und seine Liebe erfahrbar werden lässt, inwiefern sollten auch die nachösterlich Glaubenden diese Handlung real aneinander praktizieren? Und wenn Hentschel gerade die gesamte Nachfolgegemeinschaft als Adressaten dieser Praxis verstehen will (nicht einzelne ‚besondere Jünger‘), wäre zu fragen, was und welche Konsequenzen dies für die kirchliche Praxis haben könnte? Welche Folgen könnte dieses Verständnis etwa für die katholische Praxis oder durch den Papst Franziskus prominent gewordene Fußwaschung an Häftlingen haben? Zumindest ist der Papst mit dieser Studie auf einer Linie, wenn er den Ritus der Fußwaschung auch auf Frauen und Mädchen erweitert hat.

Kurzum: Eine Aktualisierung für die kirchliche Praxis oder ggf. auch eine kurze Rezeptionsgeschichte dieses Rituals wäre wünschenswert, weil diese Monographie gerade das innige Verhältnis von Jesus und den Glaubenden und ihre Sendung in die Welt so überzeugend darstellt.


Endnoten

  1. Eine Analyse sämtlicher literarischer Darstellungen von Fußwaschungen und ihren möglichen Bedeutungszuschreibungen sieht Hentschel als Forschungsdesiderat an. Der RAC-Artikel von Bernhard Kötting (1972) ist bisher von der jüngeren Forschung nicht eingeholt worden (:126f). ↩︎
  2. Vgl. für eine Auswahl möglicher Deutungen den Artikel von Christan Wetz, Fußwaschung (NT). ↩︎

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