Während zeitgenössische Leser die Abschaffung der Sklaverei per sé erwarten, existierte in der Antike so etwas wie ein legitimes Sklaventum aus ethischer Perspektive. Mit dieser Annahme untersucht W. H. Paul Thompson die historischen Zusammenhänge der Sklavenfürsorge (slave welfare).

Es ist eine vergleichende Arbeit, indem verschiedene Text-Sammlungen zur Sklavenfürsorge miteinander ins Gespräch gebracht werden: Die Forschung zu Paulus und seiner Sklavenfürsorge (Kap. 2), die athenische und römische Sklavenfürsorge (Kap. 3), die jüdische Sklavenfürsorge und schließlich wichtige Belegstellen im Corpus Paulinum (Kap. 5: Korintherbriefe, Galaterbrief, Kolosserbrief, Epheserbrief, Philemonbrief) (7.11).

Thompson 2023 – Pauline Slave Welfare in Historical Context: An Equality Analysis

W. H. Paul Thompson erwarb 2021 seinen PhD an der University of Chester über die Union School of Theology. Derzeit ist Thompson akademischer Dekan und Dozent für Neues Testament und Theologie bei Equip Gospel Ministries in Malaysia.

In diesem Beitrag rezensiere ich seine 2023 erschienene Doktorarbeit mit einem Umfang von 364 Seiten.

Rezension

Thompson, W. H. Paul 2023. Pauline Slave Welfare in Historical Context. Tübingen: Mohr Siebeck. (WUNT II, 570).

364 Seiten. 104,– €
ISBN 978-3-16-161215-2

Rezension Thompson 2023

Chapter 1: Introduction

In einer umfassenden Einleitung (1–28 Seiten) reflektiert der Verfasser das methodische Vorgehen und problematisiert, dass die paulinische Forschung zur Sklaverei bei Paulus keine konsistente Definition und Klassifizierung zur Gleichstellung bzw. Gleichheit (equality) bietet (3.27). Seine Methode bezeichnet er als equality analysis und als equality ethics und folgt hier – ohne es weiter zu präzisieren – Ruben Zimmermann mit seiner Methodologie zur impliziten Ethik (7–10). Thompson ist es wichtig, die verschiedenen Ebenen der equality in der Analyse zu differenzieren. Damit möchte er es vom Konzept der Egalität (egalitarian and egalitarianism) abgrenzen (3). Er unterscheidet drei Arten:

Equal Personal Attributes

In der Antike ist eine proportional equality üblich, die nach individuellem Verdienst aufgrund von Herkunft und Wohlstand wertet. Aber auch eine menschliche Ungleichheit als Annahme ist bekannt (3). In seiner Untersuchung analysiert Thompson, welche Eigenschaften als gleich bzw. ungleich bewertet werden und welche rationalen Annahmen dahinter stehen (4.).

Equal Distribution

Hier gehe es um die Art der Verteilung von Gütern zwischen Individuen. Xenophon diskutiert z. B. die Frage, inwiefern nach einer Plünderung die Beute zwischen den Soldaten „numerically equal (…) or proportionally according to a variable assessment of individual merit“ (4) verteilt werden sollte.

Equal Treatment

Hier wird – häufig in juristischen Vorgängen – angenommen, dass eine Person A und B, die ein Gesetz L gebrochen und die Strafe P zu erwarten haben, beide die Strafe P auch erhalten (5). In seiner Monographie gehe es Thompson also um die Gleichbehandlung von Sklaven und Freien, nicht von Sklaven untereinander (5f).

In der Untersuchung der historischen Sklaverei erkennt Thompson drei grundlegende Formen: Schuldknechtschaft (zeitlich befristet, bis die Schuld bezahlt war), Gütersklaverei (meist nach einem Krieg die ‚menschliche Kriegsbeute‘) und die Leibeigenschaft (häufig mit einem Land verbunden) (15). Freiheit ist der Gegensatz von Sklave-Sein und wird pragmatisch definiert: „the ability to cease one’s one labour services to another“ (16).

Chapter 2: Pauline Scholarship on Slave Welfare

Thompson stellt fest, dass bis dato keine robuste Studie vorliegt, die sich mit der Sklavenfürsorge (slave welfare) bei Paulus beschäftigt (16.29). Bisherige Forschungsbeiträge konzentrieren sich auf (fehlende) Abschaffung der Sklaverei, die Befreiung oder den Appell zum Gehorsam (slave obedience). Um diese Beobachtung zu erhärten, stellt Thompson die Forschungsbeiträge zu den Haustafeln (30–37), dem griechischen Terminus isotes (Gleichheit, Ausgleich) in Kol 4,1 (38–49), Eph 6,9 (50–53), dem Philemonbrief (54–64) und Gal 3,28 (64) dar. Er urteilt:

This chapter has demonstrated how they all share the same defect: a failure to define and reason consistently about equality (76).

Chapter 3: Slave Welfare in Greco-Roman Antiquity

Im Blick auf den griechisch-römischen historischen Kontext werden zwei bedeutende Protagonisten der Sklavenfürsorge (slave welfare) untersucht: Aristoteles und Seneca (77–135). Er wählt Aristoteles, weil das Athenische Sklaventum einen brauchbaren Kontrast zur Römischen Sklaverei darstellt (94).

Bei Aristoteles fällt nach Thompson das Urteil klar aus: „No Aristotelian-minded person, I suggest, would require slaves to be treated – as Paul requires in Col 4:1 – with an apparently unqualified justice and some kind of equity and/or equality however interpreted“ (95). Für Aristoteles liegt die Sklaverei in der Natur und daher sind auch Kriege legitim, um Gefangene als Sklaven zu erhalten (95).

In der römischen antiken Welt gibt es eine Entwicklung hin zur Einsicht, dass das Sklaventum nicht von Natur aus gegeben ist, sondern zum Schicksal wird (127). Eine Besonderheit, dass Sklaven und Söhne dem paterfamilias auf juristischer Ebene gleich untergestellt sind (127). In dieser gedanklichen Linie sorgt sich Seneca um die Tugend der Sklavenbesitzer, wovon dann die Sklaven selbst profitieren (135). Von einem römischen Idealismus als Wert kommend fordert Seneca sogar Mitgefühl und Fürsorge, was von anderen utilitaristischen Begründungsformen abweicht, verbleibt aber in den allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit (135).

Chapter 4: Slave Welfare in Jewish Antiquity

Es ist für Thompson ein methodisch wichtiger Schritt mit der Untersuchung der Torah zu beginnen und erst danach zu fragen, inwiefern die Tradition der Halakhah die Torah reflektiert. Diese fehlende Unterscheidung kritisiert er in einigen neueren Forschungsbeiträgen (gegen z. B. Dale Martin). Denn Thompson hat die Annahme, dass ansonsten ein Vergleich zwischen der griechisch-römischen und jüdischen Welt „overlooks substantial divergence in their equality ethics on slave welfare“ (138). Thompson analysiert demnach folgende Belegstellen: Ex 21; Dtn 5,12–15; 21,10–17; 15,12–18, 24,7; 23,15–17; Hiob 31; Lev 19,20–22; 25 (142–196). Dabei ist es nach Thompson entscheidend, die Gesetzestexte im Binnenkontext des alttestamentlichen Gesetzes auszulegen (202), um eine atomistische und fehlerhafte Interpretation zu vermeiden.

Das herausragende Argumentationsmuster zeigt sich darin, dass die Sklavenfürsorge (slave welfare) in diesen Texten mit Jahwes Unparteilichkeit gegenüber Herren und Sklaven begründet wird. Diese sollen die Israeliten imitieren, wie es im Blick auf die Reichen und Arme auch tun (202). Dabei zeigen alle Texte eine deutliche Zurückhaltung gegenüber einem permanenten Sklaventum als gesellschaftliche Einrichtung. Zudem fordern sie eine Legalisierung durch die Ehe, wenn Herren mit Frauen sexuell verkehren. Im Allgemeinen begünstigen die Texte (insb. Ex 21,26–27; Lev 19,20–22) die Sklaven.

Der fundamentale Unterschied zwischen Freien und Sklaven besteht lediglich darin, dass die Ersteren für ihre Arbeit bezahlt werden. Andere geschöpfliche, Natur bedingte Unterschiede kennt die Torah und die Halakhah in ihrer Entsprechung nicht. Thompson resultiert:

„these Jewish ethics are in sharp contrast to Greco-Roman antiquity, which at its best treats slave and free as proportionally equally“ (202).

Chapter 5: Pauline Corpus

Im Corpus Paulinum geht es Thompson darum, sämtliche Konzepte zur Gleichheit (equality) aufzuspüren und zu untersuchen. Demnach werden auch Texte einbezogen, die nicht explizit über die Sklavenfürsorge (slave welfare) etwas aussagen: 2Kor 8; 1Kor 3; 11; 12; Gal 2–4; 3,28; 5–6; Kol 3,11. Explizite Texte zum Thema sind dann: Kol 3,22–25; 4,1; Eph 6,5–8; 6,9; Phlm.

Thompson arbeitet vier Thesen für das Corpus Paulinum heraus (274).

  • Paulus‘ Verständnis von Einheit implizit eine Gleichbehandlung zwischen Herren und Sklaven und vice versa.
  • Die Haustafeln ordnen die Sklaverei im Kontext einer „Christocentric framework“ ein und intensivieren damit den Gehorsam der Sklaven und die Fürsorge für die Sklaven durch ihre Herren.
  • Der Brief an Philemon überrascht nicht mit der Forderung an den Adressaten, weil er dem bereits bekannten Ethos des Philemon folgt.
  • Paulus folgt der jüdischen Sichtweise zur Sklavenfürsorge (slave welfare) (wie in der Torah und der Tradition dargestellt. Paulus geht nur dort darüber hinaus, dass er die Gütersklaverei (Menschen werden als Beute des Krieges zu Sklaven; chattel slaves) vollkommen inkludiert.

Würdigung

Mit Pauline Slave Welfare in Historical Context legt W. H. Paul Thompson eine bedeutende Studie zur Ethik der Sklavenfürsorge (slave welfare) und ihrer Rezeption in der griechisch-römischen Welt, dem Judentum und dem Corpus Paulinum vor. Die Monographie überzeugt durch ihre methodische Achtsamkeit und ihrer Skepsis gegenüber summarischen Urteilen der Forschung. Die große Stärke ist die Differenzierung der Konzept über die Gleichheit und der Ertrag für das Corpus Paulinum. Unklar bleibt jedoch das Konzept der „Equality Ethics and Equality Analysis“ und seine Anwendung in der Exegese (7–10). Auch wenn die wichtigsten Vertreter der Impliziten Ethik einführt (R. Zimmermann, J. G. van der Watt), bleibt die genaue methodische Umsetzung von Equality Ethics nebulös.

Die Monographie ist Forschenden und Studierenden empfohlen, die über das Verhältnis von Sklaven und freien Personen in der Antike mehr erfahren wollen. Hier bündelt Thompson bedeutende Traditionsstränge der Antike. Die Studie sensibilisiert auch dafür, im Blick auf historische Urteile zur Sklaverei antike Texte für sich zu lesen und sich des eigenen kulturellen und zeitgeschichtlichen Backgrounds bewusst zu sein.

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